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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 21.08.2008


Ich habe den englischen König bedient
Christiane Krämer

Vom Würstchenverkäufer zum millionenschweren Profiteur der nationalsozialistischen Besatzer: der neue Film des erfolgreichen Regisseurs Jirí Menzel mit Julia Jentsch läuft in den deutschen Kinos an




Der kleine Provinzkellner Jan Dítì (jung: Ivan Barnev, alt: Oldrich Kaiser) hat die Macht des Geldes gewittert und will um jeden Preis Millionär werden. So arbeit er sich zum Oberkellner der feinen Gesellschaft in Prags prestigeträchtigstem Establishment hoch. Dort wird der einfältige Karrierist gefeuert, als er sich mit der Sudetendeutschen Líza (Julia Jentsch, "Sophie Scholl") einlässt, die mit ihrer glühenden Verehrung des "Führers" im besetzten Tschechien nicht nur auf Gegenliebe trifft. Das Blatt wendet sich, als die deutsche Wehrmacht 1939 in die Tschechoslowakei einmarschiert. Während Dítìs ehemaliger Chef - der schon den englischen König bediente - verhaftet wird, heiratet der Kollaborateur Líza im Kreise der Nationalsozialisten. Als diese bei einem Bombenangriff stirbt, reißt Dítì eine wertvolle Briefmarkensammlung deportierter Juden an sich und kauft sich nach dem Krieg mit dem gestohlenen Eigentum ein Luxushotel. Doch als das kommunistische Regime an die Macht kommt, muss Dítì hierfür zahlen: für jede Million ein Jahr Gefängnis.

Von herrschenden Schichten zur Rassenpolitik für die Masse

Aus der Rückblende des gealterten Dítì erlebt der junge Protagonist staunend Augenblicke auf den verschiedenen Schauplätzen der Geschichte Tschechiens. Die Kamera zelebriert die rauschende Sinnlichkeit der dolce vita der 20iger Jahre in der stakkatoartigen Stummfilmästhetik dieser Blütezeit des Kinos. Dann entstellt der um sich greifende Wahn des Nationalsozialismus die dekadenten Bilder: Im Reichsjargon fordert Líza genetische Nachweise Dítìs als Bestätigung ihrer "reinrassigen" Liebe und scheint in der Hochzeitsnacht zu Wagnerklängen mit dem Führerbild zu verschmelzen. Unter anderen Vorzeichen beginnt Dítì wieder in dem Hotel zu arbeiten, in dem er seinen "Aufstieg" begann. Dieses ist nun zu einem der nationalsozialistischen "Lebensborns" Himmlers umfunktioniert. Das abstruse Vorhaben der "Zuchtveredelung" wird durch die Verwandlung kaulquappenartig schwimmender Frauen in plätschernde amputierte Kriegsveteranen korrumpiert. Noch zynischer wirken die fröhlichen Kommentare Dítìs, der in allem Unglück seinen Vorteil sehen will und sich noch im Gefängnis auf der richtigen Seite wähnt. Im grauen Abbild seines Lebensabends reduziert sich sein "Glück" auf ein süffiges Pils – das jedoch einen schalen Nachgeschmack hinterlässt.

AVIVA-Tipp: Jirí Menzels Verfilmung des gleichnamigen Romans von Bohumil Hrabal erzählt die Geschichte eines kleinen Mitläufers, der sich auf die Macht der nationalsozialistischen Besatzer beruft und deren absurde Absichten und grausame Umsetzung vorführt. Darüber täuscht der verklärende Kamerablick nicht hinweg: die Erzählung bleibt vorsätzlich zu rund, ästhetisch überhöht und strapaziert durch die entgegenlaufenden Ton- und Musikspuren die Glaubwürdigkeit des kleinen Mannes. So gelingt es, das Verdrängte für die ZuschauerInnen gerade durch das versöhnliche Schönreden, die schwindelerregenden Bilder und den grotesken Humor gegenwärtig und schwer erträglich werden zu lassen.

In Tschechien wurde die Literaturverfilmung des Oscarprämierten Regisseurs im Jahr 2007 in allen Kategorien mit dem Tschechischen Filmpreis ausgezeichnet und als "Bester ausländischer Film" für den Oscar vorgeschlagen. Im selben Jahr wurde der Film beim internationalen Filmfestival in Haifa mit der Auszeichnung "Cinematic Excellence" gewürdigt und gewann bei der Berlinale den Fipresci Preis – pünktlich zum 10. Todestag des Autors des Romans, dessen offizielle Veröffentlichung durch ein politisches Schreibverbot in Tschechien erst 1989 möglich war.

Lesen Sie auch unser Interview mit der Hauptdarstellerin Julia Jentsch.

Ich habe den englischen König bedient
Originaltitel: Obsluhoval jsem anglického krále
Tschechien, Slovakei 2006
Buch und Regie: Jirí Menzel
DarstellerInnen: Ivan Barnev, Oldøich Kaiser, Julia Jentsch, Martin Huba Skøivánek
Verleih: Farbfilm Verleih
Lauflänge: 120 Min.
Kinostart: 21.08 2008
"Ich habe den englischen König bedient" im Netz unter: www.farbfilm-verleih.de


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Beitrag vom 21.08.2008

AVIVA-Redaktion